Artikel von: Sven Günther
10.07.2024
Kubicki: Keine Hilfe von irgendwem
Kubicki und die Wahrnehmungsschwelle
Chemnitz. Er teilt mit scharf-spitzer Zunge aus, bezeichnete sich in einem Interview als einen der „zuletzt oft kritisierten, alten weißen (weisen) Männer, die ihre Meinung sagen“. Wolfgang Kubicki. Politiker mit staubtrockenem Humor. Anwalt mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein. Bundestagsvizepräsident.
Unter dem Motto: „Warum eine liberale Stimme in Berlin und Sachsen wichtiger ist denn je“, sprach Wolfgang Kubicki beim „Liberalen Sommerfest“ in Chemnitz über seine Eindrücke und Ausblicke zur bevorstehenden Landtagswahl in Sachsen sowie zur Bundestagswahl im kommenden Jahr.
Dem regionalspiegel gab er folgendes Interiew.
Warum ist die FDP unter „Sonstige“, Herr Kubicki?
REGIONALSPIEGEL:
Bei unserem letzten Interview 2020 sagten Sie Ihrer FDP bei der Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis voraus. Es wurden 11,4 Prozent. Was prophezeit der „Seher aus dem Norden“ den sächsischen Liberalen bei der Wahl, die aktuell unter „Sonstige“ zu finden sind?
WOLFGANG KUBICKI:
Eine Prognose ist natürlich etwas schwieriger, wenn ich nicht selbst zur Wahl stehe. Unbestritten ist: Die aktuellen Umfragen sind noch herausfordernd. Es sind aber auch erst einmal nur Umfragen. Und der Wahlkampf hat auch noch gar nicht richtig begonnen. Ich bin mir sicher, dass die sächsische FDP das Potenzial und die Persönlichkeiten hat, mit einem starken Ergebnis in den Landtag zurückzukommen. Ich werde meinen Teil dazu beitragen.
Kubicki: Wir sind alleine groß
REGIONALSPIEGEL:
Sie hätten sich Sahra mal zur Seite nehmen sollen, um Frau Wagenknecht in die FDP zu locken. Dann hätten die Liberalen in Sachsen plötzlich sogar eine Regierungsperspektive.
WOLFGANG KUBICKI:
Wir brauchen keine beliebige Hilfe von irgendwem. Die Freien Demokraten können aus eigener Kraft gehen. Unsere Lernaufgabe ist es außerdem, zuerst den Landtag zu erreichen, bevor man überhaupt über Regierungsbeteiligungen sprechen kann. Ich habe es so oft erlebt, dass politische Führungspersönlichkeiten in einen Koalitions- oder Regierungswahlkampf gegangen sind. Sie sind alle kläglich gescheitert. Will heißen: Wir sind alleine groß und müssen unsere Bedeutung nicht von anderen ableiten.
REGIONALSPIEGEL:
Eine Frage, die ich auch Robert Malorny gestellt habe: Warum gelingt es den Liberalen in Sachsen nicht, wahrgenommen zu werden? Haben Sie die falschen Inhalte oder das falsche Personal? Ich erweitere: Wie können Sie, Wolfgang Kubicki, hilfreich sein?
WOLFGANG KUBICKI:
Weder haben wir in Sachsen die falschen Inhalte, noch das falsche Personal. Um Ihre Erweiterungsfrage zu beantworten: Ich helfe meinen Parteifreunden wo und wie ich kann. Ich habe schon sieben Wahlkämpfe als Spitzenkandidat bestritten und war immer erfolgreich. Wenn es darum geht, die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten, dann gebe ich gerne Rat.
Bremst Sie die Ampel?
REGIONALSPIEGEL:
Spielt das politische Berlin eine Rolle oder anders: Wäre es als FDP nicht schlauer gewesen, mit 11,4 Prozent in die Opposition zu gehen, anstatt im Ampel-Streit-Sturm in der Rubrik „Sonstige“ zu versinken?
WOLFGANG KUBICKI:
Es stimmt, dass die Sympathisanten mit der Rolle der FDP in der Ampel fremdeln. Aber 2021 gab es im Bund keine andere Wahl – sofern man den Anspruch hat, auch staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Wenn Sie sich erinnern: Nach der letzten Bundestagswahl lag die Union Dank Markus Söder in Trümmern. Es gab dort gar keinen Ansprechpartner, mit dem wir über irgendetwas hätten reden können. Die Ampel war die einzige realistische Möglichkeit, eine Koalition zu bilden, wenn man nicht ein schwarz-rotes Bündnis haben wollte.
REGIONALSPIEGEL:
Wirft es nicht ein schlechtes Licht auf den Anstand in der gesamten Politik, wenn eine über die LANDESLISTE der Grünen in den Bundestag gewählte Melis Sekmen zur CDU wechselt, ihr LANDESLISTEN-Bundestagsticket aber – aus meiner Sicht frech – behält und sich noch nicht einmal in den Leitmedien darüber aufgeregt wird?
WOLFGANG KUBICKI:
Es ist etwas merkwürdig, wenn bei solchen Wechseln immer von denjenigen über Anstand gesprochen wird, die die Leittragenden des Wechsels sind. Vor ein paar Monaten ist ein Linken-Abgeordneter im Bundestag zur SPD gewechselt und hat sein Mandat mitgenommen. Ich habe weder von Sozialdemokraten noch von den Grünen, die sich jetzt empören, Vergleichbares gehört. Als Vertreter einer Rechtsstaatspartei sage ich: Was erlaubt ist, wurde vom Gesetzgeber auch als legitim befunden. Das moralische Aufbauen einiger teile ich nicht – denn, wie erklärt: Es ist einseitig und deshalb billig. Im Übrigen: Es gibt keine Mandate erster und zweiter Klasse. Und der oder die Abgeordnete ist nur seinem oder ihrem Gewissen unterworfen.