Start GRÜNE: "Wir nehmen niemand den Diesel oder Benziner weg"
Artikel von: Sven Günther
19.03.2024

GRÜNE: „Wir nehmen niemand den Diesel oder Benziner weg“

Franziska Schubert, die Fraktionschefin der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Foto: Anja Schneider
Franziska Schubert, die Fraktionschefin der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Foto: Anja Schneider

Franziska Schubert (GRÜNE) im Interview

Region. “Zukunft soll man nicht voraussehen wollen. Zukunft muss man möglich machen.” Das Zitat von Antoine de Saint-Exupéry steht als Maxime auf der Internetseite von Franziska Schubert (41). Die Eltern der Fraktionsvorsitzenden der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN führen in dritter Generation eine Fleischerei, sie studierte „Europäische Studien“ mit Schwerpunkt Wirtschaftsgeografie an der Universität Osnabrück mit Master-Abschluss, und lehrte an der Uni Dresden die Entwicklung von Grenzregionen. Jetzt bildet sie mit Umweltminister Wolfram Günther und Justizministerin Katja Meier ein bündnisgrünes Dreigespann, das im Wahlkampf punkten will.

Der WochenENDspiegel stellt führenden Politiker der Parteien zum Auftakt ins Wahljahr kritische Fragen. Nach CDU-Generalsekretär Alexander Dierks folgte Sabine Zimmermann, die in Sachsen für das Bündnis Sahra Wagenknecht federführend ist. Anschließend antworteten Jörg Urban, der Chef der sächsischen AfD und von den LINKEN Susanne Schaper. Zuletzt stand Robert Malorny von der FDP Rede und Antwort.

Dem WochenENDspiegel gab Franziska Schubert folgendes Interview.

Nachholbedarf bei den GRÜNEN

WOCHENENDSPIEGEL: Aktuell gibt es eine Untersuchung von WORTLIGA, die den Erfolg der AfD mit deren einfachen Sprache begründet. Sollten die GRÜNEN vor diesem Hintergrund nicht die Gender:*Innen-Ausdrucksweise hinterfragen?

FRANZISKA SCHUBERT: Wir möchten niemandem vorschreiben, wie er zu reden oder zu schreiben hat. Ein Sternchen oder ein Doppelpunkt sind doch nun weiß Gott kein Grund für Kulturkampf. Wer so spricht und schreibt, dass niemand ausgeschlossen ist, hat dafür gute Gründe. Wer es also möchte, soll es tun können und wer nicht möchte, lässt es eben. Die Herausforderung für Politik ist unabhängig davon, Entscheidungen und Prozesse einfach und nachvollziehbar zu erklären. Da sehe ich auch für uns BÜNDNISGRÜNE Nachholbedarf. Was aus meiner Sicht aber nicht geht, ist eine Vereinfachung auf Kosten der Wahrheit. Die AfD bietet zum Beispiel vermeintlich einfache Antworten. Beim genaueren Hinschauen sind da eine Menge Falschinformationen dabei und es wird mit Ängsten gespielt. Manche Menschen glauben das und es wird schwierig, dann zu sagen: Warte mal, so einfach ist es nicht – auch wenn das für einige unbefriedigend ist.

Dreifachspitze bei den GRÜNEN

WOCHENENDSPIEGEL: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ziehen mit einer Troika an der Spitze in den Wahlkampf. Ist die Aufgabe für eine Doppelspitze zu groß oder konnten sie sich nicht auf zwei „Vorangeher“ einigen?

FRANZISKA SCHUBERT: Das war eine bewusste Entscheidung und setzt einen Gegenpol zur One-Man-Show anderer. Es entspricht auch unserer Arbeitsweise als Team, denn zusammen geht mehr. Als Spitzenteam decken wir verschiedene Themenbereiche, Erfahrungen und Regionen gut ab. Ich bin froh, in einer Partei mit echtem Teamgedanken zu sein – der im Übrigen in dieser Legislaturperiode eine große Stärke der BÜNDNISGRÜNEN war. Im Miteinander verteilt sich auch die Arbeit auf mehrere Schultern. Ich finde, das ist ein gesunder und zeitgemäßer Ansatz.

Warum sehen die GRÜNEN im ländlichen Raum keinen Stich?

WOCHENENDSPIEGEL: Mit sieben Prozent liegt Ihre Partei knapp über der Fünf-Prozent-Hürde, da sind mögliche BSW-Wähler noch nicht berücksichtigt. Im ländlichen Raum sehen sie keinen Stich. Gibt es konkrete Punkte, wie Sie das ändern wollen? Was bringt es den Menschen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu wählen?
FRANZISKA SCHUBERT: Erstens: Knapp ist anders. Zweitens: Umfragen sind Umfragen. Und Drittens: Sie fragen eine BÜNDNISGRÜNE aus Görlitz, die dort 2019 knapp 28 Prozent zur OB-Wahl geholt hat. Bei der Pauschalisierung ländlicher Räume sollten wir sehr vorsichtig sein – das sage ich auch als Geografin. Darüber hinaus sehen wir konstante Werte und Eintrittszahlen für uns BÜNDNISGRÜNE. Wir arbeiten daran, das bis zur Wahl zu steigern. Auch in den ländlichen Räumen sehen wir steigende Mitgliederzahlen und Interesse an grüner Politik. Trotz kontinuierlichem Grünen-Bashing. Ich komme aus Ostsachsen, einer ländlichen Region. Mir war und ist wichtig, dass wir als Fraktion überall im Land kontinuierlich präsent sind – mit Büros in allen Landkreisen, zahlreichen fachlichen Veranstaltungen und mit konkreter Unterstützung vieler Projekte in den Regionen. Was Menschen zu uns bringt bzw. dazu bringt, uns zu wählen? Wir sind freundlich, wir haben Anstand, wir kümmern uns. Und wir bleiben uns in den Themen treu: Umwelt und Natur, Bürgerbeteiligung, gesunde Mobilität, Kultur – gerade in der Kommunalpolitik sind wir eine seit Jahren zuverlässige Kraft.

E-Auto-Offensive der GRÜNEN

WOCHENENDSPIEGEL: Können Sie verstehen, dass im ländlichen Raum die grüne E-Auto-Offensive mit Verachtung gesehen wird, weil sich niemand die teuren Autos leisten kann und Busse/Züge nicht häufig genug fahren?

FRANZISKA SCHUBERT: Ich sehe da mittlerweile immer mehr E-Autos herumfahren, da staune ich manchmal selbst. Und wenn ich die Verkaufszahlen für SUVs sehe, bezweifle ich, dass der Preis tatsächlich ausschlaggebend ist. Woran es fehlt, ist eine ordentliche Lade-Infrastruktur auf dem Land. Und es fehlt an guten Vorbildern, auch in der Politik. Außerdem geht kein Grüner daher und nimmt Menschen ihren Benziner oder Diesel weg. Solange das Auto in Schuss ist, soll es doch fahren. Langfristig werden wir aber nicht um einen Umstieg herumkommen. Es geht doch auch mitnichten darum, alle Benziner oder Diesel mit E-Autos zu ersetzen. Es geht darum, im Alltag zuverlässig von A nach B zu kommen. Da mangelt es in manchen Regionen bisher einfach an Alternativen. Bei der Unzufriedenheit mit zu wenig oder zu unattraktivem ÖPNV haben die Menschen in den ländlichen Räumen uns absolut an ihrer Seite. Wir kämpfen wie keine andere politische Kraft in Sachsen für die Reaktivierung von Bahnstrecken, für sichere Radwege und für mehr Busverbindungen. Das 49-Euro-Ticket soll auch auf dem Land für mehr Menschen zur echten Alternative werden – da braucht es aber auch das entsprechende Angebot.

WOCHENENDSPIEGEL: Vertreter der Wirtschaft bringt ihre Partei vor allem mit ihrem klaren Standpunkt zum Atomausstieg in Rage, weil Deutschland in Europa dabei eine radikale Position einnimmt, was dem Wirtschaftsstandort schaden würde. Was sind Ihre Gegenargumente?

FRANZISKA SCHUBERT: Die Fakten. Atomenergie ist sehr teuer. Neubauten von Atommeilern kosten viele Milliarden Euro und werden am Ende meist noch deutlich teurer als geplant, wie die Beispiele aus Frankreich (Verschuldung des Staatskonzerns EDF mit mittlerweile 70 Mrd. Euro) und England (Hinkley Point: Verdopplung der Baukosten auf 38 Mrd. Euro und verzögerte Bauzeit um voraussichtlich acht Jahre) zeigen. Zudem hatte die Atomenergie bei uns in den vergangenen Jahren nach dem von CDU/CSU und FDP im Jahr 2011 beschlossenen Atomausstieg immer weniger Bedeutung für die Energiegewinnung.

GRÜNE: Atom ist gefährlich

Selbstverständlich kommt dazu noch die Gefahr, die mit dem Betrieb von Atomkraftwerken einhergeht. Manche neigen dazu, dies zu vergessen. Umweltkatastrophen (Fukushima in Japan) oder Kriege (Saporischja in der Ukraine) haben uns wieder vor Augen geführt, wie schnell es kippen kann. Obendrauf kommen noch die Ewigkeitskosten, die dann keiner tragen will. Die Zahlen zu den Erneuerbaren sprechen eine deutliche Sprache. 2023 war für Deutschland ein absolutes Rekordjahr beim Photovoltaik-Zubau. In einem Jahr ist über das dreifache der Leistung (insgesamt 14,3 GW) der letzten AKW (ca. 4 GW) ans Netz gegangen. Natürlich braucht es Ausbau von Speichern etc., da Photovoltaik und Wind nicht 24 Stunden am Tag Energie erzeugen. Aber der neue Rekord von 59,7 Prozent der Nettostromerzeugung 2023 aus Erneuerbaren Energien bei gleichzeitigem Ausbleiben der vorher beschworenen Blackouts und Strommangellagen unterstreicht, dass wir da auf einem guten Weg sind.

GRÜNE: Atom ist teuer!

WOCHENENDSPIEGEL: Apropos Gefahr: Internationale Wissenschaftler schätzen die Zahl der aktuellen und zu erwartenden Todesfälle aufgrund der Strahlung in Fukushima auf unter 200. Durch den Tsunami starben 22.000 Menschen. Sie wollen aber nicht den Ozean bändigen, sondern schalten die Atomkraftwerke ab… Nicht logisch, oder?

FRANZISKA SCHUBERT: Dieses Argument halte ich für fadenscheinig. Jedes Jahr am 26. April erinnere ich an den GAU von Tschernobyl. Ich war auch selbst in der Region und habe gesehen, was das mit dem Erbgut von Menschen macht – so etwas sollten wir nicht einfach vergessen oder verdrängen. Fragen Sie mal die vielen Tschernobyl-Initiativen in Sachsen, was die darüber denken. Und vielleicht nochmal ein paar Fakten: 470.000 evakuierte Menschen in der Region um Fukushima, die teilweise bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren können oder wollen, unterstreichen in dramatischer Weise die Gefahr. Dazu kommen die drastischen Folgen für Umwelt und Natur. Die Katastrophe von Fukushima wird die Menschen vor Ort noch sehr lange beschäftigen. Und wenn wir das Risiko für uns mindern können, dann sollten wir das tun. Die erneuerbaren Energien bieten sichere und klimafreundliche Energiegewinnung mit größtmöglicher Unabhängigkeit. Darauf setzen wir.

WOCHENENDSPIEGEL: Und das Argument, dass Atomkraftwerke kein CO2 ausstoßen, kümmert Sie auch nicht?

FRANZISKA SCHUBERT: Gegenfrage: Wer will eigentlich neben einem Endlager wohnen? Das würde mich interessieren. Ich finde es scheinheilig, dass ausgerechnet beim Thema Atomkraft dann das CO2-Argument rausgeholt wird, während ansonsten lieber der Kampf gegen fossile Energieträger angeprangert wird. Diese Argumentation ist mir etwas zu FDP, mit Verlaub. Wenn ich mehrere Technologien ohne CO2-Ausstoß zur Verfügung habe, wieso sollte ich mich dann auf die teuerste und die mit den mit Abstand größten Umweltauswirkungen stürzen?